Süchtelner Episödchen

„Persönlich geworden“

Schauplatz der Handlung: der Stammtisch im Hotel Platzen am Lindenplatz, an dem sich damals ein im besten Sinne „gemischter“ Kreis zu fröhlichem Tun und oft auch zu feuchtem Umtrunk zusammenfand. Zeit: die gute, alte, da es im Städtchen zwischen „Waldberg und Fluß“ noch allgemein friedlich und geruhsam zuging. Aber einmal gab es Streit, einen heftigen sogar, zwischen Adolf, dem Behenden, Wendigen, Temperamentvollen und Dures, der es mit der Bedächtigkeit, mit der Ruhe hielt und langsam mit dem Worte und dem Denken war. Adolf würzte den Höhepunkt der lebhaften Auseinandersetzung schließlich wild gestikulierend mit der markanten Versicherung: „Vör su enen Hoop Driet gonn ich ut der Weäg, mar vör dich net.“ Darauf Dures nach langer reiflicher Überlegung mit leise missbilligendem Unterton: „Jetzt fängs de ävvel langsam an, persönlich de weärde.“

 

 

„Der pfiffige Weber“

Sie hatten es schwer, die Süchtelner Handweber der alten Zeit, da der mechanische Webstuhl der Handweberei ein langsames Ende bereitete. Für 12 Stunden Arbeitszeit waren 1,50 RM der schmale Verdienst. Und den erhielt der Weber erst nach 4 Wochen, wenn er den fertigen Samt beim Kaufmann in Krefeld ablieferte. In der Zwischenzeit langte es oft nicht zum Nötigsten. Einmal saß der Theies so tief in der Kreide beim Krämer, dass er nicht einmal mehr ein Viertelliter Petroleum, das er zur Fertigung seines Werkes nötig hatte, auf Kredit bekam. Er schickte seinen Sohn, den kleinen Bertes mit einem Krug zum Händler, ihn mit Petroleum zu füllen. Das geschah auch, aber als der Junge nicht bezahlen konnte und auf eine bessere Zukunft vertrösten wollte, forderte der Händler den Krug zurück und entleerte ihn wieder. Klein-Bertes trollte betrübt und mit leerem Krug nach Hause. Mit leerem Krug ? Oh nein! Der erfinderische Vater hatte vorher einen Schwamm zerschnitten und die Stücke in den Krug gesteckt. So zertrümmerte Theies fröhlich den „leeren“ Krug und presste dann aus den vollgesogenen Schwammstücken das benötigte Petroleum.

 

 

„Vom Montmartre auf die Süchtelner Höhen“

Am 5. November 1903 ist hier der erste Autobus-Rundverkehr auf der Strecke Lobberich-Breyell-Boisheim-Dülken-Viersen-Süchteln in Betrieb genommen worden. Die Freude war allerdings nur von kurzer Dauer. Bereits nach wenigen Monaten wurde zuerst die Strecke Süchteln-Lobberich als unrentabel wieder eingestellt und im Sommer 1905 war das ganze Unternehmen unsanft entschlafen. Die beiden auf der Linie eingesetzten Omnibusse kamen direkt aus Paris, konnten sich aber an die Straßenverhältnisse im alten Kreis Kempen nicht so recht gewöhnen. Besonders am Süchtelner Berg wurden sie kurzatmig und die Fahrgäste wurden dann, mit Ausnahme der Kinder und der alten Leute, gebeten, auszusteigen und zu schieben. Dabei war der Fahrpreis allerdings recht gesalzen. So war es natürlich nicht weiter verwunderlich, dass die Busse immer spärlicher besetzt waren und sich die „Allgemeine Verkehrsgesellschaft mbH“ auch recht bald wieder auflöste.

 

 

„Rocktausch am Tresen“

Sagte man den alten Süchtelnern die Gewohnheit nach, erst zu vorgerückter Abendstunde sich in ihrer Stammkneipe zu einem Schoppen einzufinden, so war es auch vielfach Brauch, bis zu den kleinen Uhren in gemütlicher Runde zu verbleiben. Also über die Polizeistunde hinaus und die uniformierten Ordnungshüter drückten beide Augen zu, wenn dadurch die Nachtruhe nicht gestört wurde. So war auch der ansonsten sehr gewissenhafte Polizeibeamte Lobach nicht entsetzt, als er einmal am späten Abend eines Löhnungstages den ihm bekannten Dures in der Wirtschaft als letzten Gast am Tresen stehen sah. Zwar gebot er pflichtgemäß „Feierabend“, fügte aber mit Hinweis auf das „Sauwetter“ wohlwollend hinzu: „Ech bliv jetz och hei.“ Dures, im Besitz einer wohlgefüllten Lohntüte, ließ sich nicht lumpen und spendierte großzügig drauflos. Beide wurden dabei recht munter und es kam so weit, dass sie spaßeshalber ihre Röcke tauschten. Wenige Minuten später stolzierte Dures in Uniform durch die Gaststube, stülpte sich auch die bunte Mütze auf, um angeblich für einen Augenblick nach draußen zu gehen. In Wirklichkeit gedachte der Schelm den von ihm in Szene gesetzten Ulk völlig auszukosten. Dures kam nicht wieder. Dem schmählich überlisteten Ordnungshüter blieb schließlich nichts anderes übrig, er musste als „Zivilist“ den wegen der alkoholischen Genüsse beschwerlichen Heimweg antreten. In dieser äußeren Verwandlung sah ihn am nächsten Morgen seine bessere Ehehälfte im Bett liegen und ihr Erstaunen löste sich auf zu einem schallenden Gelächter, als sie in dem Zivilrock die mit dem Namen des Eigentümers beschriftete Lohntüte entdeckte. Dures und seine gelegentlichen Schelmenstreiche waren ihr nämlich auch nicht unbekannt.

 

 

„Es hagelte Schläge für den Süchtelner Gänserich“

Wie einst der Sultan des Türkenreiches für kampfmutige Hähne große Summen Geld verausgabte, so wurden in damaliger Zeit auch in Süchteln für rassige Kampf- gänseriche bis zu zehn Taler bezahlt. Gegen Ende des Jahres 1881 hieß es, dass der Champion von Zint-Huppert ( St. Hubert ) am zweiten Weihnachtstag in Süchteln gegen den ebenso bekannten Süchtelner Gänserich „Knabbe-Knupp“ zum Kampf antreten würde. Der Name Knabbe-Knupp kam daher, weil dieser Gänserich einen hühnereigroßen Vorsprung oberhalb des Schnabels hatte, genau wie seine Haremsdamen. Der große Tag der Entscheidung darüber, wem von den beiden Favoriten der Siegertitel gebührte, war endlich gekommen. Um 2 Uhr nachmittags sollte der Kampf beginnen. Viele Süchtelner und benachbarte Interessenten waren auf der „Knabbe-Weih“ versammelt, als der Eigentümer des Champions von Zint-Huppert erschien, seinen Gänserich auf dem Arm trug und ihn absetzte. Kurz darauf kam auch Knabbe-Knupp mit seinen „Haremsdamen“ und sofort griff der Champion von Zint-Huppert seinen Gegner an. Bald hatten sich beide in die Halsfedern verbissen und es hagelten schwere Schläge auf den Süchtelner Gänserich nieder, dass die Zuschauer schon dachten, er würde den Zweikampf verlieren. Wohl 20 Minuten hatte der Champion auf seinen Gegner eingeschlagen und sich selbst verletzend seine Kraft vergeudet, als endlich Knabbe-Knupp zur Offensive überging. Jetzt hagelte es Schläge auf Schläge, die den „Champion“ sichtbar erschütterten, so dass er nach etwa fünf Minuten das Hasenpanier ergriff und laut schnatternd den Kampf aufgab. Er hatte nicht mehr den Mut, noch einmal anzutreten. Knabbe-Knupp wurde unter dem Jubel aller Anwesenden eindeutig zum Sieger erklärt.

 

 

„Dem Tode entronnen“

Sie waren unzertrennlich die vier, der Pitter, der Jupp, der Matthes und der Hendrick. Liebe zum Alkohol und Unlust zur Arbeit einte sie. Sie hielten auf Tradition und hingen am Althergebrachten. Daher blieb der Montag arbeitsfrei, an ihm wurde „blaugemacht“. Aber das kostete Geld und da der Tag lang und der Durst groß war, sogar viel Geld. Völlig abgebrannt kamen sie eines Tages zur Stammkneipe, das weise Wort bestätigend: ‚Wenn der Dag naat anfängt, dann kümbs de selden drüch no heem.’ „Klementin, wör häbbe ke Geld“, eröffnet Pitter sanft das Zwiegespräch mit der Wirtin. „Dat hat ör joa nie“, brummt es zurück. „Wör häbbe ävvel Dursch“, darauf der Pitter kummervoll. „Drenk Water, ör Supsäck“, empfiehlt Klementin ungerührt. „Water kann ose Mag net verdrage, wör wolle Beer“, setzt Pitter seine Zermürbungs- taktik fort. „Dann kiek mar, dat ör jett kritt“, höhnt die Gegenseite. „Klementin“, - jetzt geht Pitter aufs Ganze - „dann lien os viev Mark!“ „Kene Penning kritt ör“, grollt die Angepumpte. „Dann göv et en Onglöck“, murmelt dumpf der Pitter. „Dat sall mich egal sien“, stellt Klementin herzlos fest. Erbost trollen die Abgewiesenen von dannen. Aber schon nach kurzer Zeit stürzt Hendrick schreckensbleich zurück: „Pitter ös duet. Du häs öm en dö Dued gedrieve!“ klagt er die erschütterte Klementin an. Schuldbewusst eilt diese hinaus und - Oh Schreckensbild - der Pitter hing tatsächlich leblos im Baum. Tot! „Oje, oje! Hol en Hölp! Höt ich öm mar die viev Mark gegeäve, de ärme Pitter!“ „Et ös noch Tiet“, tönte da die Grabesstimme des Totgeglaubten vom Baume. Die Kumpane hatten ihn unter den Armen im Baum festgebunden. Klementins Antwort an den „zum Leben Erwachten“ sei hier verschwiegen. Sie ist nicht druckreif und würde das Andenken an die Gute trüben.

 

 

„Een Äppelke“

Man hielt und hält stets treu zusammen in der Nachbarschaft in guten und in trüben Tagen, feierte Feste zusammen, erweiterte sogar die Nachbarschaft, wenn es galt, ein Fest besonders glanzvoll zu gestalten. Geradezu eine „Orgie“ nachbarlichen Zusammenhaltens war es, wenn Tante Adele der „engeren“ Nachbarschaft ihren jährlichen Schmaus gab. Das war dann stets ein besonderes Fest für den Märtes, der ein Freund guter und reichlicher Lebensmittel war. Dann kam er auf seine Kosten. Drei große Riesenkoteletts, mit der dazugehörigen Beikost, hatte er bereits bewältigt und die Knöpfe wollten fast von seiner Weste springen, die prall den rundlichen Bauch umschloß. Eben wollte Märtes nach getaner „Arbeit“ gut ruhen, als es - oh Freude - zum Schluß noch einen gebratenen Apfel gab. Sollte er den Apfel noch schaffen können? Aber frisch gewagt, ist halb gegessen und tatsächlich, er übersprang auch noch diese lukullische Hürde. Aber dann lehnte er sich doch erschöpft zurück, zupfte sinnend an seiner Weste und meinte milde lächelnd: „Ha, watt su een Äppelke doch dick mäck.“

Süchteln zur Kaiserzeit um 1900 ( in einem Gemälde von Conr. Schmitz )

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